Wie bist Du zur Volkshilfe gekommen?
Meine erste Erinnerung an die Volkshilfe ist die als kleines Kind. 1954, da war ich fünf Jahre alt, gab es in Krems ein großes Donauhochwasser. Die Volkshilfe war eine von jenen Hilfsorganisationen, die damals sofort Hilfe anbot und u.a. Lebensmittel und Bekleidung an die Hochwassergeschädigten verteilte.
Teil der VH wurdest Du dann über den politischen Weg?
Meine Funktionärslaufbahn bei der Volkshilfe hat Ende der 70-er, Anfang der 80-er Jahre begonnen,
damals stieg ich in Krems in die Kommunalpolitik ein, zuerst als Gemeinde- und Stadtrat, dann 1983 als Vizebürgermeister. Mein Vorgänger Hofrat Dr. Kurt Preiß stellte die Volkshilfe Ende der 70-er Jahre mit seiner Gattin und einem tollen Team auf neue Beine. Da hatte die VH ja schon seit 1947existiert. In erster Linie war es die Aufgabe der Volkshilfe, Menschen in Notlagen zu unterstützen.
Das Thema „Mobile Pflege“ war neu in dieser Zeit?
Mobile Pflege war für die Trägerorganisationen noch neu, denn bis dahin haben die Gemeinden die sogenannten „Gemeindeschwestern“ beschäftigt. Einzelfälle wurden von ihnen betreut. Ich kann mich noch gut an die Debatte erinnern, da war ich selbst schon im Gemeinderat, dass diese Funktionen aus der Gemeinde ausgegliedert werden sollten. Ab da wurden damals in Krems – und im ganzen Land NÖ – in der Pflege die heutigen großen Player, Hilfswerk, Volkshilfe und Caritas aktiv.
Da hat dann der Ausbau der Mobilen Pflege begonnen?
Die ersten Heimhelferinnen gab es Ende der 1970er-Jahre, diese Frauen hatten eigentlich noch gar keine mit heute vergleichbare Ausbildung. Anfänglich waren das Menschen, die einfach alten Leuten im Haushalt geholfen haben, von „Pflege im medizinischen Sinne der Betreuung“ war damals noch kaum die Rede. Bis dahin war Pflege die häusliche Angelegenheit innerhalb der Familie. Übrigens: Noch heute erfolgt zu 80% die Betreuung im Familienverband.
Es sollte eine menschenwürdige Form der Betreuung geben?
Ja, das war völlig neu. Das Vorhaben ist sehr schnell gewachsen, mit vielen weiteren MitarbeiterInnen. Ich kann mich noch an die ersten Anfänge erinnern: Autospenden machten uns mobiler, es war ein gebrauchtes Fahrzeug, mit dem die erste Heimhelferin zu den zu Pflegenden fuhr. Dann wurde es professioneller und es wurden Sponsoren aufgetrieben, wie zum Beispiel Autohäuser, Firmen, Serviceclubs wie Lions, Kiwanis u.a.. Bald nahm die mobile Pflege flächendeckend in ganz NÖ einen enormen Aufschwung.
Wie waren damals die Leitungsfunktionen besetzt?
Einer der ersten Geschäftsführer der VH NÖ, noch Sekretär genannt, war der spätere Gesundheitslandesrat Ewald Wagner. Ihm folgte Elfie Filla als Landessekretärin. Das fiel in die Zeit, als Traude Votruba Präsidentin der VH NÖ war. Nach ihrer Berufung in die Landesregierung als Soziallandesrätin legte sie ihr Amt als Präsidentin der VH NÖ nieder und Hofrat Kurt Mittersteger, langjähriger Generaldirektor der NÖ Gebietskrankenkasse, wurde dann ihr Nachfolger; Erich Fenninger wurde zum Geschäftsführer bestellt. Als Hofrat Mittersteger dann als verdienstvoller VH-Vorsitzender aus Altersgründen ausschied, fiel die Wahl auf mich. Seitdem übe ich das Präsidentenamt in NÖ aus, das sind heuer 17 Jahre!
Ab wann begann dann der große Aufstieg in der Pflege?
Eine sprunghafte Entwicklung hatten wir ab den 1980er-Jahren. Vor einigen Jahren wurde durch die Abschaffung des Angehörigen-Regresses der latente Platzmangel in den stationären Pflegeeinrichtungen noch größer, die Nachfrage an Plätzen in Heimen verstärkte sich deutlich. Es wurden seitens der Landesregierung die Pflegeheime modernisiert und ausgebaut. Parallel dazu stieg aber auch die Nachfrage nach Mobiler Pflege enorm an. In Kooperation mit den Landesbehörden gelang auch der Volkshilfe eine wesentliche Steigerung ihres Marktanteiles an der Mobilen Pflege.
Wie gesagt, die überwiegende Mehrheit der älteren Menschen will zu Hause betreut werden. Für viele ist es die menschlichere Form, die Betreuung in den eigenen vier Wänden. Man entwurzelt die zu Betreuenden nicht mehr aus ihrer geliebten Umgebung. Die Nachfrage nach Mobiler Pflege ist eine große Herausforderung für die Trägerorganisationen, vor allem in Bezug auf die Personalsituation, die bewältigt werden muss.
Der Bedarf an Pflegepersonal steigt weiter an?
Ja genau, der erhöhte Bedarf muss durch ausreichende Ausbildung und Angebote für BerufsumsteigerInnen erfüllt werden. Die Heimhilfe-Ausbildung liegt teilweise bei den Trägerorganisationen selbst, teilweise wird sie von Anbietern durchgeführt. Vor allem die VH bildet ihre HeimhelferInnen in ihren Ausbildungskursen an der hauseigenen Akademie selbst aus.
Wie wurde das finanziell gelöst?
Der große Wendepunkt und Erfolg war in den 1990er-Jahren die Einführung des Pflegegeldes unter Sozialminister Josef Hesoun. Das war neu damals und ist die Grundlage für leistbare Betreuung und Pflege. Je nach Pflegestufe erhält die zu betreuende Person Pflegegeld zu ihrer Pension, um damit die stationäre oder mobile Pflege leistbar zu machen. Der Großteil der Kosten ist also durch den Patienten selbst finanziert. Je nach Bundesland, das ist leider von Land zu Land verschieden, kommt dann noch der Landesbeitrag pro geleisteter Einsatzstunde hinzu. Über die Sozialumlagen an das jeweilige Bundesland leisten auch die Gemeinden ihren Anteil.
Im Vergleich zu den 90-ern also eine echte Verbesserung?
Absolut. Die Finanzierungsgrundlagen haben sich wohl verbessert, eine ausreichende Budgetierung der Fördermittel stellt aber die Trägerorganisationen Jahr für Jahr vor die Herausforderung, mit den Ländern - und für gewisse Teilleistungen mit den Krankenkassen – eine ausreichende Honorierung ihrer Leistungen zu verhandeln.
Das heißt, die mobile Pflege ist heute sehr gefragt?
Absolut. Immer mehr Leute greifen zur familiären Entlastung zum Angebot der Mobilen Pflege und nehmen gerne eine Heimhilfe oder eine Diplomkrankenpflege in Anspruch. Dennoch ist es natürlich eine Herausforderung für die Familienangehörigen. Meistens sind es die Frauen in den Familien, die Töchter, oder Schwiegertöchter, die pflegen. Aber ich kenne in NÖ auch einen Fall, da ist die Mutter 106 Jahre alt und ihr Sohn auch schon über 80 und er betreut sie, mit der Hilfe der VH, noch immer.
Wie groß ist die Nachfrage nach der 24h-Betreuung?
Sie steigt kontinuierlich, auch als Alternative zum Pflegeheim. Auch hier wurden neue Finanzierungsmöglichkeiten seitens der Länder und des Bundes geschaffen. Es ist leistbar, weil man hierfür einen Bundes/ -und Landeszuschuss bekommt. Überall, wo man für die Personenbetreuerin vor Ort einen Wohnplatz anbieten an, ist sie möglich. Ergänzend zu dieser 24-Stunden-Personenbetreuung wird zusätzlich oft noch Heimhilfe oder Diplompflege notwendig sein, da ja die 24-Stunden-Betreeung keine „medizinische Pflege“ ist.
Überall hört man, es herrscht Pflegenotstand …
Ich bin jemand, der da bei diesem Thema nicht so einfach ins selbe Horn bläst. Ich warne vor einem übergebührlichen Schlechtreden der Situation. Natürlich wird es im Gesundheitswesen immer Notstände geben. Zum Beispiel in den Krankenhäusern, wenn junge ausgebildete Ärzte ins Ausland abwandern und wir zu wenige Praktische Ärzte haben. Aber trotzdem ist das kein Grund, alles nur pessimistisch zu sehen. Das gilt auch für die Pflege.
Dennoch herrscht großer Mangel an Personal …
Ja, das stimmt. Wir müssen einfach die Ausbildungsmöglichkeit intensiv forcieren und eklatant mehr Ausbildungsplätze schaffen, vor allem im Bereich der Krankenpflege. Diese Ausbildung erfolgt an den Krankenpflegeschulen der Krankenhäusern und mittlerweile für die DGKP´s an den Fachhochschulen.
Die Ausbildungen werden heute nach einem Stufensystem angeboten?
Ja genau, wichtig ist es, Aufstiegschancen anzubieten. Die erste Stufe ist das neue Berufsbild der Alltagsbegleitung. Das ist ein Besuchsdienst, der sich einige Stunden mit dem betroffenen Menschen zusammensetzt, ihn begleitet, mit ihm spazieren geht. Diese Personen haben eine Kurzausbildung bzw. Einschulung. Eine sehr niederschwellige und günstige Sache. Die zweite Stufe ist die der Heimhilfe. Ihre Aufgaben sind Betreuung, Körperpflege, Essensversorgung, Einkäufe, sowie tägliche Verrichtungen. Die Kurse, in Praxis und Theorie, dauern rund sechs Monate, der Abschluss ist ein Diplom. Wir als VH NÖ bieten diese in unserer Organisation selbst an, unser Bemühen dahinter ist, dass wir die künftigen HeimhelferInnen schon während ihrer Ausbildung an uns binden möchten. Da der Heimhilfe-Beruf vorwiegend Teilzeitarbeit ist, ist das für viele eine Chance, Familie und Job zu vereinen.
Und wenn man aufsteigen möchte, dann kann man …
… weitere Pläne verfolgen und sich weiterbilden zur Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz, oder Diplomkrankenpflege. Es gibt viele Aufstiegsmöglichkeiten.
Wie motiviert man junge Leute, in diesen Beruf zu gehen?
Junge Menschen gehen mit einer gewissen Euphorie in diesen Beruf. Die Gefahr besteht, dass sie dann schnell frustriert sind durch die tatsächliche Praxis und die Erlebnisse. Es gibt neuerdings auch Bestrebungen zum Modell der "Pflegelehre", oder einer Pflege-HTL, die dann zur Matura führt.
Wir müssen die Pflege aber jedenfalls attraktiver machen. Ich denke, die Motivation kann nur durch eine positive Darstellung des Pflegeberufes erfolgen - und natürlich durch das entsprechende faire Einkommen. Und durch Anerkennung! Keiner interessiert sich für diesen Beruf, wenn er mies verkauft wird. Immer nur die Belastung und den Druck zu beleuchten, das ist kontraproduktiv. Der Beruf Pflege hat so viele schöne Seiten!
Wie sehr hat Corona den Pflegealltag erschwert?
Die Volkshilfe hat eine Umfrage unter pflegenden Angehörigen gemacht. Vor allem jene, die Menschen mit Demenz in der Familie betreuen, sprechen von deutlich erhöhter Belastung. Durch die Ansteckungsgefahr von Corona und der Angst vor Ansteckung mussten in den akuten Lockdown-Phasen natürlich viele Pflegedienstleistungen von den Organisationen zurückgefahren werden (Kurzarbeit) oder wurden von den Angehörigen reduziert. Mittlerweile aber haben wir nach den Corona-Lockdowns jetzt wieder einen deutlichen Anstieg an Einsatzstunden zu verzeichnen. Die Menschen greifen also wieder wie gewohnt auf die Pflegeangebote zurück. Umso mehr wächst die Herausforderung.
Nochmal zusammengefasst: Was muss dennoch im Bereich der Pflege unbedingt verbessert werden?
Die Pflege-Ausbildung muss für die InteressentInnen finanziell leistbar werden. Die BewerberInnen und vor allem BerufsumsteigerInnen brauchen schon während ihrer Ausbildung eine finanzielle Absicherung, damit sie in dieser Zeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Wenn jemand langzeitarbeitslos war, dann finanziert das das AMS, aber wenn jemand sich jemand ohne Arbeitslosigkeit oder Langzeitarbeitslosigkeit entscheidet, diese Ausbildung zu machen, bekommt er keine Finanzierung. Bei der Polizei oder beim Bundesheer wirst du zum Beispiel auch schon während der Ausbildung bezahlt. Wir, die Volkshilfe, die Arbeiterkammer, die Gewerkschaft und auch die SPÖ fordern eine Existenzsicherung während der Ausbildung!
Weiters sollten unbedingt die Bedingungen und Förderungen aller Bundesländer vereinheitlicht werden. Ausserdem soll es eine laufende Anpassung des Pflegegeldes geben, so wie ja auch die Pensionen laufend angepasst werden.
Ewald, solltest Du mal ein Pflegefall werden, wobei Du im Moment wie das blühende Leben aussiehst …
…dann möchte ich möglichst daheim betreut werden, ich vertraue da dem System! Am liebsten in meinem gewohnten, geliebten Zuhause!
Danke für das Gespräch!
(Lisa Peres, Kommunikation VH Ö)