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„Wenn sie diesen Winter nicht gekommen wäre, würde es mich nicht mehr geben.“

„Wenn sie diesen Winter nicht gekommen wäre, würde es mich nicht mehr geben.“
Lenka Arsić, 81 Jahre 

Lenka lebt im Dorf Dekutince. Ihr Haus steht einsam, ohne Nachbarn und ist ein Stück von der nächsten befestigten Straße entfernt. Verwandte oder Freunde hat die 81-Jährige nicht mehr und auch keine Möglichkeit einen Arzt aufzusuchen, trotz ihrer gesundheitlichen Probleme. So wie Lenka, geht es vielen älterern Menschen im ländlichen Serbien. Wie ein neuer mobiler Betreuungsservice der Volkshilfe ihr Leben verändert hat, erzählt sie uns im Gespräch.

Wie lebst du hier Lenka?

Die letzten 30 Jahre habe ich hier allein gelebt. Wenn Goca (Gordana) diesen Winter nicht gekommen wäre, würde es mich nicht mehr geben. Ich habe keine Verwandten mehr, seit mein Bruder 2012 gestorben ist. Goca ist jetzt beides für mich, mein Bruder und meine Schwester.

Ich bin in diesem Haus geboren, ich habe hier mein ganzes Leben gelebt und ich werde hier bleiben, bis es zu Ende geht. Das Haus ist so alt, wie ich, es hat einen Erdboden, es gibt Mäuse, Goca hat mir Fallen gebracht. Ich habe kein Badezimmer, nur eine große Waschschüssel. Im Sommer lasse ich die Wasserflaschen in der Sonne aufwärmen, dann sitze ich auf der Terrasse und wasche mich. Wenn ich in der Früh aufwache, mache ich Feuer, aber mein Ofen ist nicht gut. Ich kann darauf nicht mehr backen. Früher habe ich selbst Brot gemacht, jetzt ist mir das Kneten zu schwer geworden und Goca bringt mir jede Woche frisches Brot. Im Winter habe ich eine Decke und einen Quilt zum zudecken, so wird mir nicht kalt.

Ich lebe von der Pension meines Vaters, das sind 13.200 Dinar (112 Euro). Es ist schwierig davon zu leben. Meine Gesundheit ist nicht so gut. Ich kann nicht mehr Stiegen steigen und bin vor drei Monaten gestürzt. Also sitze und liege ich die meiste Zeit. Ich nehme Medikamente gegen Bluthochdruck und fürs Herz. Goca bringt mir auch die Medizin.

Wie hat Corona dein Leben verändert?

Ich bin einsam. Meine Freundin aus dem Dorf kommt mich nicht mehr besuchen seit Corona, wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Niemand kommt mehr zu mir. Ich bin allein und fürchte mich manchmal, ich höre so viel im Fernsehen über das Virus, dass man nicht rausgehen soll, wieviele Menschen sich anstecken, krank werden, manchmal kann ich nicht schlafen, dann nehme ich eine Tablette.

Wie schwierig ist es hier allein zu leben?

Ich bin immer allein und Leute stehlen von mir. Mein Vater hatte Werkzeug in der Hütte, einen Pflug und andere Geräte. Eines abends hörte ich Geräusche draußen. Sie haben alles mitgenommen.

Wie hat sich dein Leben durch die mobile Unterstützung verändert?

Niemand hat mir vorher geholfen. Niemand hat mir etwas gebracht. Ich habe eben keine Familie mehr. Seit dem Winter kommt Goca regelmäßig. Wenn sie nicht da ist, gibt es Unordnung, dann kommt sie räumt auf. Sie bringt mir Holz zum Heizen, macht Feuer, und legt das Feuerholz auf die Terrasse, so dass ich nicht nach draußen gehen muss. Ich vertraue ihr absolut. Sie macht mir Eintopf, Makkaroni, Gemüse und Bohnen, sie kocht sehr gut. Wenn das Wetter schön ist, bringt sie mich auf die Terrasse, damit ich ein bisschen an die Sonne komme, dann lachen wir und reden.

Welche Art der Unterstützung hilft dir besonders?

Es bedeutet mir viel, dass Goca mich regelmäßig besucht. Ich bin immer glücklich, wenn sie kommt und traurig, wenn sie geht. Manchmal weine ich dann. Auch der Besuch der Ärztin bedeutet mir viel. Sie hat meinen Blutdruck gemessen und mein Rückgrat untersucht, weil ich große Probleme beim Gehen habe. Die Ärztin hat mir gesagt, sollte ich etwas brauchen, kann ich sie jederzeit anrufen und sie wird kommen. Allein das, bedeutet mir so viel.

„Menschen die bisher im Abseits lebten, werden plötzlich wieder sichtbar.“
Gordana Marković, 45 Jahre

Gordana arbeitet als Sozialarbeiterin im Projekt der Volkshilfe zur mobilen Betreuung und Unterstützung von älteren Menschen in der Region Vladičin Han. Sie betreut neben Lenka zehn weitere Menschen und sieht das Projekt als große Chance für alle Beteiligten.

Mit welchen Problemen haben ältere Menschen hier im ländlichen Serbien zu kämpfen?

Die größten Probleme sind Armut und Einsamkeit. Viele alte Menschen haben sehr kleine Pensionen. Es fehlt oft das Geld für die Grundversorgung. Ihre Gesundheit ist fragil. Die Jungen ziehen in die Städte, der Ausbildung oder Arbeit wegen und die Alten bleiben zurück. In unserer Region liegen 50 Dörfer, die alle fast ausschließlich von älteren Menschen bewohnt werden. Die Häuser sind über die Hügel verstreut, weit voneinander entfernt, nicht einfach zu erreichen, besonders im Winter.

Wie steht es um die Gesundheitsversorgung im Allgemeinen?

Corona hat die Dinge auch hier verlangsamt, aber generell ist die Versorgung gut. Für die älteren Menschen ist jedoch das größte Problem, dass sie nicht in die lokalen Gesundheitszentren kommen können und damit selten zum Arzt gehen. Wer keinen Bus, kein Auto oder auch keine Begleitung hat, ist vom Gesundheitsssytem abgeschnitten.

Wie viele Kolleg*innen arbeiten aktuell im Projekt und wie viele Menschen werden versorgt?

Wir sind 17 Kolleg*innen und jeder von uns betreut 10 ältere Menschen, das bedeutet wir können aktuell 170 Menschen regelmäßig unterstützen. Wir arbeiten dabei als Team: eine Projektleitung, eine Mediziner*in und eine Sozialarbeiter*in. Zeimal im Monat tauschen wir uns aus und besprechen die Erfahrungen und Fälle, das ist sehr hilfreich.

Welchen Einfluss hat das Projekt auf die Menschen?

Ich habe das Gefühl, Menschen die bisher im Abseits lebten, werden plötzlich wieder sichtbar. Ihre Existenz wird wahrgenommen, jemand besucht sie, kümmert sich um sie. Das ist etwas Schönes, Wichtiges. Jeder einzelne Besuch bedeutet so viel für einen Menschen, der allein und krank ist. Die Besuche durch unsere Ärzt*innen spielen auch eine besondere Rolle – nicht nur der medizinische Rat, auch die Aufmerksamkeit und das ernst genommen werden, tragen zu einem besseren Wohlbefinden bei. Die Neuigkeit, dass es da jemand gibt, der die Älteren besucht, hat sich rasch verbreitet und das Projekt wird gut aufgenommen. Teil dieses Projekts zu sein, bedeutet viel für die älteren Menschen. Aber es bedeutet auch viel für uns.

Was hast du gedacht, als du Lenka das erste Mal getroffen hast?

Bei unserem ersten Treffen war Lenka sehr reserviert. Wir haben dann ein bisschen geplaudert und ich habe ihr Feuerholz gebracht. Schon beim zweiten Mal hat sie sich über meinen Besuch gefreut. Am Anfang war Lenkas Haus vollgestopft mit Dingen. Sie konnte sich kaum bewegen. Ich habe dann gemeinsam mit ihr Ordnung in die Dinge gebracht und jetzt kann sie sich mehr bewegen und ist wieder mobiler geworden. Ihr Zuhause funktioniert wieder besser für sie. Das macht mich glücklich. Wenn ich etwas tun konnte, das die Menschen glücklich macht, dann bin auch ich glücklich.

Hat das Projekt auch dein Leben verändert?

Ich bin mit meiner Großmutter aufgewachsen. Sie konnte die letzten drei Jahre nicht mehr gehen und wir haben uns um sie gekümmert. Ich bin also so aufgewachsen und ich kümmere mich gern um ältere Menschen. Ich mache diese Arbeit gern und sie ermöglicht mir auch, meine Familie zu unterstützen. Ich bin Alleinverdienerin und mein Sohn möchte eine Ausbildung in Belgrad machen. Mit dem Gehalt kann ich ihn dabei unterstützen. Das wird sein Leben verändern.

HIER geht es zu unserer Projektseite / Entwicklungszusammenarbeit

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