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#SOS Balkanroute

Ein Gespräch mit Gründer Petar Rosandić, alias Kid Pex

Petar Rosandić, besser bekannt als Rapper Kid Pex, ist der Gründer der #SOSBalkanroute, einer mehrfach ausgezeichneten humanitären Initiative für ein menschenwürdiges Leben von geflüchteten Menschen in Südosteuropa. Entlang der so genannten „Balkanroute“, organisieren er und sein Team regelmäßig Hilfstransporte mit Sachspenden zu den Lagern an der bosnisch-kroatischen Grenze. Das Gespräch über sein Leben und die Asyl-Politik führten wir im Esterházy-Park im 6. Wiener Gemeindebezirk, denn dort ist er selbst als Flüchtlingskind aufgewachsen.

Wann bist Du das erste Mal politisch geworden?
1991 flüchtete meine Familie wegen dem Jugoslawienkrieg aus Zagreb zuerst nach Italien, dann einige Monate später nach Österreich. Wenn Du hautnah mitbekommst, wie dein Vater plötzlich gesucht wird, weil er mobilisiert werden soll, Deine Eltern jeden Abend Nachrichten schauen, um zu wissen, wie es den Großeltern geht, oder wenn es wieder Luftangriffe gibt und die Verwandtschaft an der Front steht, dann bist du automatisch mit Politik und ihren Folgen konfrontiert. Also, ich war sehr früh mit Politik konfrontiert.

Wie alt warst Du da und was konntest Du als Kind beobachten?
Ich war da sieben, acht Jahre alt. Natürlich konnte ich die ganze politische Situation anfänglich noch nicht so gut deuten, aber ich habe als Kind sehr viel von der kroatischen, nationalistischen Propaganda und auch von der in Bosnien und Serbien mitbekommen. Diesen Wandel vom Kommunismus zum Turbonationalismus und Kapitalismus, die Kriege am Balkan und diese nationalistische Euphorie in Kroatien, das habe ich alles wahrgenommen.

Würdest Du Dich als Flüchtlingskind bezeichnen?
In Zagreb war die Kriegssituation nicht ganz so wie zum Beispiel in Bosnien, wo sich die Menschen in der Nachbarschaft erschossen haben. Ich sag immer, ich bin halb Kriegs/ - halb Wirtschaftsflüchtling. 

Wie war dann Wien für Dich?
In den 90-ern herrschte hier in Österreich nochmal eine andere Stimmung gegenüber Leuten aus dem ehemaligen Jugoslawien. Ich besuchte die Amerlingschule hier im 6ten, konnte natürlich anfänglich kein Deutsch und wenn Dir dein Klassenvorstand sagt, "das kannst bei deinen Jugos machen", da habe ich schon gemerkt, was für ein Wind hier weht. Da war dieses Gefühl von „verloren sein“, aber nicht durch mich selbst, sondern durch die gesellschaftliche Ablehnung.

Ab wann hast Du Dich dann bewusst politisch engagiert?
Situationsbedingt galt mein Interesse natürlich der Politik und diesem Krieg. Mit 14,15 war ich auf den Donnerstags-Demos und bei den Protesten gegen Schwarz/Blau1. Da habe ich mich das erste Mal ganz bewusst gegen rechts und diesen österr. Rechtsextremismus entschieden. Ich fühlte mich ziemlich heimatlos in Wien, aber auch in Kroatien kam ich mir mittlerweile fremd vor, durch all meine Erkenntnisse, die ich hier gewonnen hatte.

Ein Ventil war dann die Musik für Dich?
Mit 20, 21 habe ich begonnen zu rappen. Bei Hip-Hop spielt Nationalität und Herkunft keine Rolle, das war für mich eine Art neue Heimat. Ich war da schon sehr politisiert, aber nicht „so komplett“ definiert wie heute. In den 90ern haben die Türken und die „Jugos“ ja erst später begonnen zu rappen in den meisten Fällen. Rap war zuerst das Privileg von Gymnasiasten, die gut Englisch verstehen konnten und auf Englisch rappten. Erst Ende der 90-er, Anfang der 2000-er, kam dann die starke Welle des groß wahrgenommenen Ausländer-Raps im deutsch-sprachigen Sprachraum. Der hat mich dann fasziniert, damit konnte ich mich identifizieren. Mittlerweile rappe ich aber auch auf Deutsch. Ich mache das auch, um bewusst politische Themen, Missstände und Ungerechtigkeiten auf die Agenda zu setzen, aber auch um zu provozieren, und in Österreich ist es sehr leicht, zu provozieren (lacht).

Du hast ja später die #SOSBalkanroute gegründet, wie kam es dazu?
2013 engagierte ich mich im Refugee Protest Camp Vienna und war bei den Votivkirchen-Protesten dabei. Wir wollten aktiv werden und was tun. Damals tat ich das noch musikalisch, später, 2015, fuhr ich dann einmal mit einem PKW voller Spenden nach Rösche. Durch die Jahre unterstützte ich oft Flüchtlingsprojekte oder zum Beispiel Basketball- und Fußballteams mit „Wien oida Trikots“. Im Sommer 2019 haben wir dann Kontakt zum deutschen Flüchtlingshelfer Dirk Plannert aufgenommen, er war ein paar Monate an der Grenzregion zwischen Bosnien und Kroatien im Flüchtlings-Camp Vucjak bei Bihac stationiert. Noch etwas naiv, aber voller Tatendrang, befüllten wir unseren Kombi bis zur Decke mit gesammelten Spenden und sind einfach dahin gefahren.

Wie war dort die Situation?
Das Camp Vučjak lag auf einer Müllhalde und neben einem Minenfeld an der Grenzregion zwischen Bosnien und Kroatien in den Bergen. Ohne Wasser, keine Stromversorgung. Tausende Menschen lebten hier völlig isoliert, nach dem Motto "aus den Augen aus dem Sinn". Auf einem offenen Feld wurde die Notdurft verrichtet. Diesen Zustand hast Du drei Stunden Autofahrt entfernt von der österreichischen Grenze! Eine Stunde vom Meer entfernt, da wo die Österreicher Urlaub machen!

Was macht dieser Eindruck mit einem?
Auf unserer Heimfahrt herrschte absolute Stille im Auto, wir waren alle in einer Art Schockzustand. Ohne uns irgendwas auszumachen, haben wir am nächsten Tag einfach weitergesammelt. Einen Monat später konnten wir wieder hinfahren und Spenden bringen, diesmal viel mehr und mit LKW´s, bis dann das Camp geschlossen wurde und die Menschen mehr oder weniger wieder auf der Straße landeten.

Woher hattet Ihr die Spenden?
Wir haben über Facebook zum Spenden aufgerufen, eine "Oma gegen Rechts" hat uns ihren VW-Bus zur Verfügung gestellt, dann gab es Sammeltermine und die Logistik wurde immer professioneller. Es kamen Punks, Imame, Nonnen, Kommunisten, SPÖler, alte „Christlich-Sozial“, die enttäuscht waren von diesen bewussten Amokläufen der Politik. Da war schon eine milieuübergreifende, die Grenzen sprengende Solidarität. Man konnte diese positive Welle spüren und dann kam eines zum anderen.

Dann habt Ihr 2019 die #SOSBalkanroute gegründet?
Als Bewegung ja, doch die Gründung passierte erst im Juni 2020. Unser Team besteht aus einem Kernteam von sechs Leuten, mit Dave in Innsbruck und Hasan in Linz mitgezählt. Natürlich gibt es noch sehr viele ehrenamtliche Helfer, ohne die das alles nie im Leben ginge. Zu den Spenden-Sammelterminen kommen heute die unterschiedlichsten Menschen. Ob es die türkische Familie im fetten BMW ist, der Imam, die „Fridays for Future“-Leute, oder junge StudentInnen aus der linken Szene. Bis heute sehr unterstützt hat uns der Nonnenorden „Franziskanischen Schwestern von der schmerzhaften Mutter“ in Simmering. Sie waren uns eine große Stütze und kommen demnächst auch mit, um vor Ort zu helfen. Wir gehen diesen Weg gemeinsam mit vielen unterschiedlichen Menschen. Und das ist gut so.

Wer sind die Checker vor Ort in den Camps?
Es sind eigentlich meistens Checkerinnen. Ich spreche von den bosnischen Flüchtlingshelferinnen, sie sind die Grundlage, der Motor und auch zu einem Großteil die Inspiration für die #SOSBalkanroute. Sie treffen die schwierigen Entscheidungen vor Ort. Es ist nicht jemand aus Wien, der anruft und Befehle gibt, weil er aus dem Westen kommt. Diese Frauen sind „Locals“, sie kennen die Umstände vor Ort am besten, haben die meiste Erfahrung und achten die Menschenwürde. Sie kommen nicht, wie ich oder andere Volunteers aus dem Westen, für ein paar Wochen, ein paar Monate, sondern sind 365 Tage im Jahr dort und tragen diese Krise.

Aber mit Eurer Arbeit konntet Ihr ihre Position stärken...
Ja, das freut mich sehr, vor allem auch mit viel politischer Arbeit. Wir konnten manche auch in die Legalität führen, wodurch die humanitäre Arbeit wesentlich erleichtert wurde. Das sind 98% Frauen, die dort helfen, in diesem disfunktionalem Nach/ - und Auswanderungsland, einem extrem korrupten, gelähmten und noch immer vom Krieg gezeichneten Staat. Alles was wir leisten, leisten diese Frauen. Sie sind Teil von uns. Sie bekommen von uns die Gelder, Spenden, oder wir mieten für sie Lager und Tageszentren.

Wie geht Ihr mit der Würde der Menschen in den Lagern um?
Wir versuchen eben das, was die Politik scheinbar nicht will: Menschenwürde herstellen. Aber man muss dazu sagen, wir sind zu 99% in wilden Lagern mit unseren Aktivitäten vertreten. Also dort, wo es sowieso keine offizielle Versorgung gibt und die Menschen auf NGOs wie unsere angewiesen sind. Würde ist definitiv ein großes Thema bei uns. Auch der Umgang und die Verantwortung, die man eigeninitiativ übernimmt. Wir haben unglaublich viel gelernt, aber müssen auch noch immer lernen. Ich persönlich stehe in den Aktionen unten nicht im Mittelpunkt und möchte das auch nicht: Ich bin kein Sanitäter, kein Traumatherapeut und auch kein Asylrechtsexperte. Wie gesagt, die bosnischen Frauen wissen, wie das vor Ort geht. Ich kann anders helfen, mit meiner Medienarbeit, zum Beispiel. Aber trotzdem möchten wir keine Situationen, in denen Leute sich gezwungen oder verpflichtet fühlen. Es gibt genügend Leute, die nicht auf Fotos abgebildet sein wollen und auch Helfer, die nicht jede Aktion bis ins letzte Detail bildlich festhalten - das ist völlig okay. Jede Veröffentlichung, zum Beispiel von einem Kindergesicht, wird mit den Erziehungsberechtigten abgeklärt, da achten wir sehr drauf. Wir wollen ja keinen Sozialporno machen, sondern nachhaltige Hilfsnetzwerke herstellen. Es ist trotzdem irrsinnig wichtig, alles zu dokumentieren und darüber in Österreich und im deutschsprachigen Sprachraum zu berichten. Man muss die Menschen hierzulande, zumindest einen Bruchteil davon, spüren lassen, was für ein Unrecht sich drei Stunden von Österreich entfernt abspielt.

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit der Volkshilfe ergeben?
Die Volkshilfe war von Anfang an eine helfende Hand für uns. Christian Schörkhuber, der Geschäfts-führer von der Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnen-Betreuung, hat uns von Anfang unterstützt. Er war Anfang der 90-er Jahre selbst im Bosnienkrieg und auch humanitär und eigeninitiativ aktiv. Viele unserer Hilfs-Aktionen wären ohne ihn einfach schlicht nicht möglich gewesen. Er stand uns immer mit professionellem Rat und Tat zur Seite, und er ist auch oft unser erster Ansprechpartner. Die VH Wien unter Tanja Wehsely mehrmals Fahrzeuge zum Transport von HelferInnen zur Verfügung gestellt. Derzeit hat die VH Österreich mir für ein halbes Jahr eine Anstellung zugesichert, damit ich mich auf meine Arbeit konzentrieren kann und ein fixes Einkommen habe. Jetzt im April hat uns Erich Fenninger von der VHÖ begleitet, um sich selbst ein Bild machen zu können, wieviel Projekte wir mittlerweile in Bosnien aufgebaut haben. Er ist in diesem Bereich sehr erfahren und es war uns wichtig, dass er uns auch sein Feedback gibt.

Rassismus ist leider immer noch Alltag...
Die politische Kultur ist grauslich geworden in Österreich. Diese rechte Rhetorik seit Haider und diese Plakate. Die Frustration der Menschen wird von der Mainstream-Politik geschürt, indem angeprangert und der Frust in den Hass kanalisiert wird. Und dann gehst du auf die Balkanroute oder siehst die Zustände in Moria und siehst die nackte Realität der Zustände in Europa. Es herrscht eine Legitimation vor von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, das ist die aktuelle politische Richtung. Aber das ist ein europaweites Phänomen. Ich war jetzt 2,5 Wochen in Kroatien, bei den Debatten im Wahlkampf für die Lokalwahlen werden noch immer Blutkörperchen gezählt und nationalisiert.

Nehmen wir an, Du wärest Bundeskanzler, was würdest Du sofort umsetzen?
Das liegt klar auf der Hand! Ich würde die Asylpolitik grundlegend ändern, Menschen wieder aufnehmen ohne Wenn und Aber, unabhängig ob das jetzt Familien, Kinder oder erwachsene Männer sind. Ich würde vieles rückgängig machen, am liebsten die letzten 20, 30 Jahre der Politik in Österreich. Ich sehe, dass die Kommunalpolitik eine der wenigen ist, die noch das Soziale der Menschlichkeit sieht, denkt man an die Stadt Wien, oder an kleinere Gemeinden, wie z.B. Herzogenburg, Traismauer, oder Völklabruck, die sich zum sicheren Häfen erklären. Oida! Ich würde so viel ändern, dass das nicht in eine Antwort passt.

Du wurdest mit dem Ute Bock Preis und dem MIG-Award ausgezeichnet. Stolz?
Ja, natürlich macht mich das stolz. Aber alle Preise der Welt bringen nichts, wenn sie keine Signalwirkung haben, oder nichts Substanzielles ändern oder Menschen zum Umdenken anregen. Ich bin nicht auf die Balkanroute gefahren, um mich selbst zu feiern, sondern um Sachen auch zu verändern.

Wo siehst Du Dich in den nächsten 10 Jahren?
Das hängt vom Projekt #SOSBalkanroute ab, ich dachte anfangs nicht, dass ich da in so einer Intensität drinnen stecken werde, das hat sich dynamisch und situationsbedingt einfach so ergeben. Aber ich bin ehrlich gesagt pessimistisch: Unsere Aktionen werden zwar größer und der Rückhalt wird stärker, aber grundlegend politisch hat sich ja z.B. in Bosnien nichts geändert. Im Gegenteil: Die politische Ausgangslage ist mies, das Land ist extrem kaputt, verlassen, korrupt und jeder junge Mensch, der irgendwie kann, versucht auszuwandern.

Planst Du wieder was musikalisches?
Ich konnte die letzten zwei Jahre nicht so viel Musik machen, weil ich sehr eingesetzt war, aber beim ersten Lockdown 2020 war ich produktiv, es wird also wieder Musik kommen, Ende 2021/ Anfang 2022 wird was neues erscheinen. Am 23.Juli trete ich beim Popfest Wien in der Arena auf und am 30. Juli bin ich dabei beim Wiener Kultursommer. In Innsbruck gastiere ich am 13. August. Ich freu mich wieder auf die Bühnen. Dort vergesse ich alles. Und auch das muss sein und ist wichtig.

Danke für das Gespräch!
(Lisa Peres, Kommmunikation, VH Ö)

 

Fotos: Stefan Joham

20. Juni 2021

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#SOSBalkanroute ist eine humanitäre Initiative für ein menschenwürdiges Leben von geflüchteten Menschen in Südosteuropa.

IBAN: AT20 2011 1842 8097 8400
BIC: GIBAATWWXXX
Kontoinhaber: SOS Balkanroute

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