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„Unsere Waffe ist Solidarität. Solidarität ist unsere Waffe.“

Ein Gespräch mit Bundespräsident Dr. Van der Bellen

„Unsere Demokratie ist dann in Gefahr, wenn wir aufhören, an ihren Wert zu glauben.“

 

Der Kampf gegen Armut hat die Volkshilfe 75-Jahre beschäftigt, heute verstärkt im Engagement gegen Kinderarmut sichtbar. Aber auch der Einsatz für menschenwürdige Pflege, für die Rechte arbeitssuchender Menschen und die internationale Entwicklungszusammenarbeit war und ist uns wichtig. Was ist Ihnen bei der Lösung sozialer Probleme ein besonderes Anliegen?

Wir dürfen in Österreich niemanden zurücklassen. Jede und jeder muss sich hier zu Hause und sicher fühlen. Man muss den Zusammenhalt und die Solidarität von uns allen spüren und das auch in der Geldtasche sehen. Die letzten Monate und Jahre waren für sehr viele von uns keine einfachen Zeiten. Eine Krise jagt die nächste: Die Auswirkungen der Klimakatastrophe werden immer sicht- und spürbarer, die Corona-Pandemie hat unser Gesundheitswesen sehr gefordert und seit einem halben Jahr tobt Krieg mitten in Europa. Das sind enorme Herausforderungen für uns als Gesellschaft. Wir dürfen niemand in Österreich allein lassen. Unsere Waffe ist Solidarität. Solidarität ist unsere Waffe.

Der besondere Einsatz der Volkshilfe gilt den schutzsuchenden, flüchtenden Menschen. Im Hinblick auf Ihre eigene Familiengeschichte, was geht Ihnen bei diesem Thema durch den Kopf? Gibt es ein persönliches Schlüsselerlebnis?

Die Österreicherinnen und Österreicher haben in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie Menschen in Not helfen und ein großes Herz haben. Das habe ich auch in meiner persönlichen Familiengeschichte so erfahren. Sowohl nach dem Zweiten Weltkrieg als auch bei der großen Fluchtbewegung 2015/2016 oder seit Ausbruch des brutalen Angriffskrieges in der Ukraine waren es die Hilfsorganisationen und die Zivilgesellschaft, die als erste geholfen haben. Unbürokratisch haben sie die Flüchtenden mit Essen und Kleidung versorgt und Unterkünfte zur Verfügung gestellt. Das ist schon wirklich großartig und darauf können wir stolz sein.

In Ihrer viel beachteten Eröffnungsrede der Salzburger Festspiele 2022 sagten Sie: "(...) dass in diesen dunklen Zeiten die Sterne Europas heller leuchten, als je zuvor. Diese Sterne sind Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Minderheitenrechte und Solidarität (...)" Das sind zentrale Werte, für die auch die Volkshilfe eintritt. Welchen Beitrag können wir alle leisten, um diese Werte noch besser zu leben?

Wir sind ein mächtiger Kontinent, wenn wir zusammenhalten und es sind diese Werte, die uns als Europäische Union verbinden. Dabei sollten wir aber nie vergessen, dass wir uns diese Werte einst hart erkämpft haben. Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat uns schmerzlich vor Augen geführt, wie schnell sie wieder in Bedrängnis geraten können. Darum ist es umso wichtiger, dass wir auf unsere Werte aufpassen. Jede und jeder von uns und zwar dort, wo es ihm oder ihr möglich ist. Zum Beispiel indem wir solidarisch sind – und für den anderen da sind und helfen. Indem wir Demokratie leben, indem wir wählen gehen oder uns in der Gemeinde engagieren.

Die Volkshilfe wurde von Antifaschist*innen gegründet und aufgebaut, das prägt uns bis heute. Was gefährdet denn die Demokratie am Stärksten?

Unsere Demokratie ist dann in Gefahr, wenn wir aufhören, an ihren Wert zu glauben. Wenn die einfachen Lösungen verlockender sind als Diskussion und gemeinsame Meinungsbildung. Wenn wir uns abwenden und zum Beispiel an Wahlen nicht mehr teilnehmen. Aber auch die Akteure in der Politik sind in der Pflicht: Die Aufgabe von Politikerinnen und Politikern ist nicht die Beschäftigung mit sich selbst oder kleingeistige, scheinbar ideologische Konflikte zu führen oder gar die Rechtsstaatlichkeit in Frage zu stellen. Wir brauchen eine integre, funktionierende Politik, die ihre Verantwortung wahrnimmt. Die Demokratie ist ein hohes Gut, das sich unsere Vorfahren hart erkämpft haben. Es ist wichtig, dass wir gut auf sie aufpassen.

Ehrenamtliches Engagement ist bis heute ein wichtiger Faktor in der Volkshilfe. Wird ehrenamtliche und freiwillige Arbeit in der Gesellschaft ausreichend gewürdigt?   

Österreich ist ein Land des Ehrenamtes. Viele wichtige Dinge, die uns als Gesellschaft stärken, werden von den Österreicherinnen und Österreichern mit Stolz ehrenamtlich gemacht. Dazu zählen zum Beispiel die Aufgaben der Feuerwehr oder der Rettung. Oder auch bei den großen Fluchtbewegungen, wo es uns gelungen ist, rasch und unbürokratisch zu helfen. Das ist von einer Welle der Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung ausgegangen. Das kann man gar nicht genug würdigen.

Österreich ist ein reiches Land mit einem gut ausgebauten Sozialsystem. Bei Ihren internationalen Kontakten, wie viel Anerkennung findet das in der Welt?

Unser Sozialsystem hat uns dabei geholfen, die Krisen der letzten Jahre als Gesellschaft einigermaßen gut zu bewältigen. Auch wenn es sicher im Einzelfall Menschen gibt, denen nicht genug geholfen werden konnte. In schwierigen Zeiten zeigt sich, wie notwendig und wertvoll ein gutes Sozialsystem ist. Das ist auch etwas, auf das ich oft bei meinen Treffen mit Staats-und Regierungsschefs aus anderen Ländern angesprochen werde. Hier sind wir oft Ideengeber für andere, das freut mich.

Angesichts der vielen Krisen, vom Klimawandel bis zum Krieg in der Ukraine, gibt es auch ein Wort des Trostes oder der Hoffnung vom österreichischen Bundespräsidenten?

Wir haben in der Vergangenheit viele, viele Probleme lösen müssen und wir haben sie gelöst. Gemeinsam. Wenn wir gemeinsam zusammengearbeitet haben. Und auf diese Stärken sollten wir uns immer erinnern. Glauben wir an unsere gemeinsame Stärke und Kraft! Besinnen wir uns darauf, wie stark wir sein können. Denn Solidarität und Zusammenhalt machen uns sicher.

Letzte Frage: Was braucht der Mensch für sein ganz persönliches Glück?

Das ist tatsächlich eine sehr schöne Frage. Es ist schon ein Privileg, sich darüber Gedanken machen zu können. Ich denke ein Teil der Antwort ist: notwendig sind ein Dach über dem Kopf, ein warmes Essen und unsere Liebsten um uns herum. Aber den Rest der Antwort muss jeder Mensch für sich selber finden.

Danke für das Gespräch!


Interview: Lisa Peres, VHÖ
Portraitfoto: Wolfgang Zajc

*Das Interview wurde vor der Präsidentschaftswahl im Sept.22 für die Jubiläumsausgabe des VH-Magazines geführt

 

 

11. Oktober 2022

Bundespräsident Dr. Van der Bellen gratulierte zum 75-jährigen Jubiläum der Volkshilfe in der Hofburg und stellte fest: "Unsere Gesellschaft wäre ohne Volkshilfe nicht dieselbe, sie wäre kälter. " (Foto: Johannes Zinner)

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