Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt und Behindertenanwalt fordern Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Inklusion in der Arbeitswelt. Zusätzlich müssen Verstöße gegen die UN-Behindertenrechts-Konvention in Werkstätten für Menschen mit erheblichen Behinderungen beendet werden. Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Finanzierung durch die öffentliche Hand.
Nach einer im Jahr 2015 durchgeführten Befragung der Statistik Austria bezeichnen sich selbst etwa 18 % der erwachsenen Bevölkerung Österreichs als in einem wichtigen Lebensbereich durch eine körperliche, psychische, kognitive oder Sinnesbehinderung beeinträchtigt. Hochgerechnet sind das 1,3 Millionen Menschen. Die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung nimmt mit steigendem Alter stark zu, aber selbst in der Gruppe der 20- bis 60-jährigen Personen sehen sich 13,6 % als Menschen mit Behinderung an. Auf dem Arbeitsmarkt zeigt sich eine deutlich geringere Teilnahme von Menschen mit Behinderung: während 55,9 % der behinderten Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren erwerbstätig bzw. Arbeit suchend waren, betrug dieser Anteil bei Menschen ohne Behinderung in der gleichen Altersgruppe 77,1 %.
Arbeitslosigkeit ist bei Menschen mit Behinderung signifikant häufiger, dauert länger an und geht später zurück als bei anderen Personen. Dies kommt darin deutlich zum Ausdruck, dass der Anteil der arbeitslosen Personen mit gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen an der Gesamtzahl der Arbeit suchenden Menschen 24 % beträgt. Das ist fast doppelt so hoch wie der Anteil der Menschen mit Behinderung im erwerbsfähigen Alter.
Da weniger Menschen mit Behinderung dem Arbeitsmarkt überhaupt zur Verfügung stehen, ihr Anteil an den arbeitslosen Personen aber fast das Zweifache beträgt, ist das Risiko von Menschen mit Behinderung, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein, um mehr als das Dreifache höher als bei Menschen ohne Behinderung.
Eine massive Ausweitung der Unterstützung der öffentlichen Hand für die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderung ist daher unbedingt geboten. Der von der Frau Sozialministerin verwaltete Ausgleichstaxfonds, aus dem Förderungen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung finanziert werden, hat durch einen Parlamentsbeschuss im vorigen Jahr rund 40 Mio. € jährlich an zusätzlichen Mitteln aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt bekommen. Initiativen, welche verstärkten Anreize für die Anstellung von Menschen mit Behinderung der Wirtschaft damit geboten werden sollen, stehen aus. Die Bundesregierung ist gefordert, umgehend ein Maßnahmenpaket zu schnüren, um die trotz guter konjunktureller Lage unvertretbar hohe Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung zu senken.
Noch erheblich bedenklicher stellt sich die Situation von Menschen mit schwerer Behinderung und einem höheren Unterstützungsbedarf dar, die in Einrichtungen der sogenannten Tagesstruktur (Werkstätten, die der Beschäftigungstherapie dienen) tätig sind. Sie gelten nicht als Arbeitnehmer, erhalten daher kein Entgelt und sind nicht voll sozialversichert. Die rund 24.000 in den von den Ländern getragenen Werkstätten arbeitenden Menschen bekommen lediglich Taschengeld, sind nur unfallversichert und haben keine Rechtsstellung als Arbeitnehmer. Dies bedeutet, dass sie nie eine eigenständig erworbene Pension antreten können, im Krankheitsfall als Angehörige schlechtere Leistungen erhalten und ein Leben lang rechtlich als „Kinder“ behandelt werden. Dies widerspricht der UN-Behindertenrechtskonvention. In einem ersten Schritt muss für diese Menschen mit Behinderung zumindest die volle gesetzliche Sozialversicherung gewährleistet werden. Im Regierungsprogramm steht dazu bloß: Erhöhung des Taschengeldes!
Junge Menschen mit Behinderung werden oft vorschnell und ohne ausreichende Prüfung ihrer Stärken und Fähigkeiten im Zusammenwirken von AMS und Pensionsversicherung als „arbeitsunfähig“ abgestempelt. Als Folge dieser Feststellung ist es dem AMS und dem Sozialministeriumservice gesetzlich untersagt, Leistungen zu gewähren oder bei der Jobsuche zu helfen. Diese Menschen sind auf die Beschäftigung in Einrichtungen der Tagesstruktur(siehe oben) angewiesen.
Es muss garantiert werden, dass vor einer derartigen Entscheidung eine mindestens zweijährige Arbeitserprobung stattfindet, dass moderne und die heutige Arbeitswelt berücksichtigende Kriterien angewendet werden und dass alle Unterstützungsmöglichkeiten für die Integration am ersten Arbeitsmarkt eingesetzt werden. Um das anhand eines realen Sachverhalts plastisch darzustellen: ein Klient wandte sich an die Behindertenanwaltschaft, da seine Arbeitsfähigkeit im Sinne des Arbeitslosenversicherungsgesetzes überprüft wurde, obwohl er vorher mehr als sechs Jahre lang in einem gewöhnlichen Kleinbetrieb beschäftigt war. Eine Untersuchung durch ärztliche Sachverständige der Pensionsver-sicherungsanstalt (PVA) ergab, dass dieser trotz seiner bisherigen Erwerbstätigkeit aus Sicht der PVA als originär, also von Beginn an, arbeitsunfähig angesehen wird. Da der Klient noch keine 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben hatte, war es ihm auch nicht möglich, eine Invaliditätspension zu erlangen.
Die Untersuchungen zur Arbeitsfähigkeit zielen auf ein rein medizinisch definiertes Leistungskalkül ab. Sowohl vorangegangene Beschäftigungen als auch zur Verfügung stehende Unterstützungsmöglichkeiten bleiben dabei unberücksichtigt. Ebenso ist die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Regelfall nicht reversibel und es besteht diesbezüglich keine Einspruchsmöglichkeit.
Diese Praxis und Rechtslage widersprechen eklatant der UN-Behinderten-rechtskonvention und machen eine zeitnahe gesetzgeberische Lösung unbedingt erforderlich. Es braucht eigene Kriterien für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit junger Menschen mit Behinderung, die arbeiten wollen, es braucht verstärkte Schulungen und Sensibilisierung für die Sachverständigen, es braucht die Berücksichtigung der bestehenden Unterstützungsstrukturen für die Ausübung einer Beschäftigung wie die Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, das Job Coaching oder die Arbeits-assistenz und es braucht ausreichend Zeit für praxisorientierte Probe-phasen, um die Fähigkeiten und Stärke des konkreten Menschen mit Behinderung festzustellen.
Dann könnten auch Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf auf passenden Arbeitsplätzen einem Beruf nachgehen und als Entgeltempfänger und Beitragszahler ihren Lebensunterhalt eigenständig und selbstbestimmt erwirtschaften. Den Vorrang muss die Teilhabe am ersten Arbeitsmarkt genießen.