„Demokratie und das öffentliche Gut sind der Wohlstand des normalen Menschen."
Die Volkshilfe Wien ist schon seit vielen Jahren DIE Expertin für Delogierungsprävention in Österreich. Wie stark haben die Krisen der letzten Jahre die Situation nochmal verschärft?
Wir haben als Volkshilfe Wien über die Jahre unsere Expertise und unser Know-How als Profi in der Delogierungs- und Wohnungssicherung ausgebaut. Wir befinden uns an der Schnittstelle von Wohn- und Sozialpolitik. Das eine kann man nicht vom anderen trennen. Bereits zum Ausbruch der Covid-Pandemie haben wir als Volkshilfe davor gewarnt, dass aus der damaligen Gesundheitskrise keine Armutskrise werden darf. Wer bisher schon nicht seine Rechnung zahlen konnte, dem steht das Wasser mittlerweile bis zum Hals.
Wie lauten Ihre Forderungen an die Politik?
Wir wollen betroffene Menschen so früh wie möglich erreichen, um sie rechtzeitig beraten und unterstützen zu können – bevor noch ein Delogierungstermin ansteht. Wohnungssicherung heißt vor allem auch bei Schuldenregulierung, Wohnungs- und Arbeitssuche zu helfen. Das beinhaltet auch die Übernahme von Miet- und Energiekosten, Anwaltskosten oder möglichen Umzugskosten. Delogierungsprävention und Wohnungssicherung ist das ganze Paket, um zu verhindern, dass jemand auf der Straße landet und damit langfristig das Vielfache an Kosten mit sich bringt.
„Wir wollen nachhaltig helfen“
Reichen Einmalzahlungen?
Die Unterstützungsangebote sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Die Stadt Wien etwa hat bisher beim Thema Delogierungsprävention viel eingebracht. Viele Menschen sind vielleicht dadurch noch ganz gut über den Winter gekommen. Eine gute Sache und richtig, keine Frage! Aber vor allem für jene Haushalte, die schon vor den Krisen Corona, Teuerung und auch der Inflationskrise betroffen waren, reichen Einmalzahlungen tatsächlich nicht aus, um durch die anhaltende Multi-Krise zu kommen. Wir wollen nachhaltig helfen.
Ist die Prävention günstiger als die Folgekosten einer Delogierung?
Wenn Du eine Wohnung verlierst, dann ist das wie ein kleiner Tod. Du wirst aus dem Leben gerissen, die meisten Menschen können sich das gar nicht ausmalen, wie das ist, wohnungslos zu sein. Wir wollen, dass die Menschen gar nicht erst in der Wohnungslosenhilfe landen. Mit der Arbeiterkammer Wien haben wir ausgerechnet, wieviel günstiger Prävention ist, als die Folgekosten einer Delogierung tragen zu müssen. Ist eine Mieterin zum Beispiel mit rund 2.500 Euro säumig, entstehen am Ende geschätzte Gesamtkosten pro Delogierung von 30.900 Euro. Mit jedem Euro, den wir in die Delogierungsprävention einzahlen, ersparen wir uns das 14-fache an Kosten.
Ist Hilfe in Anspruch zu nehmen mit Scham behaftet?
Erfahrungsgemäß warten Menschen bis zur letzten Sekunde, bis sie sich Hilfe holen und nutzen erstmal alle privaten Möglichkeiten. Das Märchen der sozialen Hängematte und dass die Leute nur darauf warten würden, sich endlich in diese sanfte Matte begeben zu können, ist einfach unwahr.
Was ist, wenn bereits schon eine Räumungsklage vorliegt?
Oft steht es schon Spitz auf Knopf. Die Delogierung steht an und wortwörtlich vor der Türe, um die Betroffenen rauszuwerfen. Unsere Beratungsstellen übernehmen dann den Kontakt mit den Behörden, die mit dem Exekutionstitel befasst sind. In den meisten Fällen gelingt es uns eine Lösung zu finden und die laufende Delogierung noch zu stoppen. Das ist die Besonderheit der Art der Wohnungssicherung, die wir als Volkshilfe Wien entwickelt haben.
Sollten „Wohnen & Energie“ ein Menschenrecht sein?
Wohnen, Arbeit und Gesundheit sind de facto nicht voneinander trennbar. Ein Mensch ohne Arbeit und Wohnen, wird nicht gesund bleiben können. Ein kranker Mensch bekommt keine ordentliche Arbeit mehr geboten. Wohnen darf keine Ware sein. Es gibt keine gedeckelten Mieten, sie sollten gemessen an einem Einkommen maximal ein Drittel ausmachen. Es braucht dringend ein Ende der Spekulation auf Immobilien! Es sollte grundsätzlich keine befristeten Mieten geben, die treiben den Preis künstlich hoch. Es darf mit Wohnen und mit Bauen keine Spekulation und keinen obszönen und unanständigen Gewinn geben.
„Das soziale Sicherungsnetz muss armutsfest gemacht werden!“
Warum sind denn die Miet- und Energiekosten eigentlich so hoch?
Man kann die Marktsysteme dazu fast gar nicht erklären. Aber so viel kann man sagen: Da wo Geld ist, da kommt mehr Geld dazu. Dort wo keines ist, kommt in der Regel auch keines hin. Das klingt sehr banal, aber das ist die Realität. Es stimmt natürlich, dass Immobilienbesitzer, vor allem kleinere, auf die Mieten angewiesen sind, um ihre Häuser instand halten zu können. Aber das Argument, ohne diese Erhöhungen ginge nun gar nichts mehr, verfiele quasi das Haus binnen drei Monaten, wird vor allem von der Immobilien-Lobby verbreitet
Was die Energiepreise betrifft…
… man hat während diesen verrückten Steigerungen der Energiepreise nach der Marktregulierung gerufen. Kleine Anbieter hatten von den großen Energieanbietern, wie Wien Energie und Verbund profitiert, aber die gibt es jetzt alle nicht mehr, weil sie die Preise und das Liefern zum Endkunden nicht mehr halten können. So funktioniert ein entfesselter, liberalisierter Markt.
Was muss sich grundlegend ändern?
Tatsächlich helfen nur eine Reglementierung und ein Eingriff in den Markt. Das soziale Sicherungsnetz muss armutsfest gemacht werden! Eine alleinerziehende Mutter kann sich bei den aktuellen Kosten das Leben nicht mehr leisten. Deswegen: Housing for All, Housing First, für leistbares Wohnen, für Delogierungsprävention vor Wohnungslosenhilfe!
Betreffen die hohen Preise mittlerweile alle?
Mittlerweile sind wir ja auch schon mit dem Problem konfrontiert, dass es nicht mehr nur um Menschen in den unteren Einkommensklassen geht, sondern auch schon in die Mittelschicht reinschwappt. Das bietet uns jetzt die Möglichkeit, wirklich laut zu sein. Je größer das Problem wird und je mehr es auch bei zahlungskräftigeren Schichten in der Gesellschaft ankommt, desto wichtiger wird es. Es muss nachhaltige Lösungen geben, wie eine Kindergrundsicherung und armutsfeste Sozialsysteme.
„Hohe Energiekosten treiben auch die Mietpreise in absurde Höhen.“
Kann man Energiekosten und Wohnkosten getrennt sehen?
Wohn- und Energiekosten stehen in einem direkten Zusammenhang. Hohe Energiekosten, treiben auch die Mietpreise in absurde Höhen. Aufgrund des Ukrainekriegs war klar, dass eine zusätzliche Energiesicherung, die rasch und niederschwellig bei ausstehenden Heizkosten hilft, sehr sinnvoll ist.
Ist der Wohlstand in unserer Gesellschaft gefährdet?
Demokratie und das öffentliche Gut sind der Wohlstand des normalen Menschen. Es braucht Daseinsfürsorge, öffentliche Bildung, öffentliche Medizin, öffentliche Energie, gute öffentliche Verwaltung und keine Poor-Services für Poor People. Wir müssen als soziale Organisation die Armut bekämpfen und Benachteiligungen überwinden – für ein gutes Leben für alle Menschen!
Danke für das Gespräch!