Sozialbarometer: Große Sorge über leistbare Pflege
Besonders armutsbetroffene Menschen sind alarmiert
Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt, ebenso die Anzahl der Bezieher*innen von Pflegegeld. Im Vorfeld des Internationalen Tages der Pflege am 12. Mai macht die Volkshilfe erneut auf die Herausforderungen im Bereich Pflege und Betreuung aufmerksam. Für Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe Österreich, „ist es in den ver- gangenen Jahren durchaus gelungen, Fortschritte zu machen. Zuletzt ist mit der Aufnahme von Pflegeberufen in die Schwerarbeitsregelung ein Schritt gelungen, auch wenn noch viele Details offen sind. Aber die demografische Uhr tickt derartig laut, dass das Thema immer Toppriorität haben muss. Das zeigen auch die Ergebnisse unseres aktuellen Sozialbarometers“.
Große Sorge um die Leistbarkeit der Pflege
Sechs von zehn Befragten (60%) machen sich Sorgen, dass sie sich im Alter die Pflege nicht leisten können, die sie brauchen. Besonders verbreitet sind Sorgen um die Leistbarkeit der Pflege bei Menschen mit einem geringen Haushaltseinkommen bis 1.500€ (74%) und den älteren Befragten in der Altersgruppe ab 75 Jahre (70%), wohingegen sich jüngere Menschen bis 30 Jahre (44%) weniger besorgt äußern.
Mehrheit fühlt sich von Politik allein gelassen
Bisher sind die Maßnahmen der Regierung nicht bei den Menschen angekommen. Fast drei von vier Befragten (74%) denken, dass die Politik Familien mit der Verantwortung für die Pflege ihrer Angehörigen allein lässt. Besonders kritisch äußert sich wieder die Gruppe der Menschen mit einem geringeren Haushaltseinkommen bis 1.500 €: Fast neun von zehn Befragten (89%) stufen die Aktivitäten von politischer Seite zur Unterstützung der Familien bei der Pflege ihrer Angehörigen als unzureichend ein. Menschen mit einem höheren formalen Bildungsabschluss ab Matura äußern seltener Zustimmung, aber auch hier ist eine deutliche Mehrheit von etwas mehr als zwei Drittel der Befragten kritisch (67%).
Soll die Regierung mehr Geld in die Hand nehmen?
Die Erhöhung budgetärer Mittel für die Lösung der Herausforderungen und Probleme im Pflegebereich wird von einer überwältigenden Mehrheit der Befragten (88%) befürwortet. Bereits im Vorjahr hatten mehr als drei Viertel der Befragten (78%) der Aussage zugestimmt, dass in Zukunft deutlich mehr Steuergeld zur Finanzierung der Pflege ausgegeben werden soll. Der Wunsch nach einer besseren Finanzierung des Pflegebereichs wird 2025 also noch häufiger geäußert.
Lauter Ruf nach Reform des Pflegegelds
Für Teresa Kurzbauer, Bereichsleiterin Pflege & Betreuung in der Volkshilfe Österreich ist das Pflegegeld eine Schlüsselfrage bei der Bewältigung der täglichen Pflegeherausforder-ungen in unserem Land. „Fast neun von zehn Befragten (88%) befürworten eine Reform des Pflegegelds, damit der tatsächliche Pflegebedarf ausreichend abgedeckt ist. Der Anteil jener Menschen in Österreich, die die derzeitige Einstufung des Pflegegeldes kritisch sehen, ist im Vergleich zum letzten Jahr anhaltend hoch (2024: 87%)“, stellt Kurzbauer fest.
Nur Minderheit fühlt sich ausreichend über Alternativen zur Pflege durch Angehörige informiert
Ein pflegebedürftiger Angehöriger stellt eine Familie vor einen großen Organisationsaufwand. Nur eine Minderheit von 38 Prozent der Befragten fühlt sich ausreichend über Alternativen zur Pflege durch Angehörige informiert. Besonders hoch ist der Informationsbedarf bei Menschen in der jüngsten Altersgruppe bis 29 Jahre, hier fühlt sich weniger als ein Drittel der Befragten (28%) ausreichend informiert. Ein höheres Informationsdefizit zeigt sich auch bei Befragten aus Ostösterreich (27%), wohingegen sich Befragte aus Westösterreich häufiger als ausreichend informiert einstufen (48%).
„Die Ergebnisse zeigen, dass noch sehr viel zu tun bleibt. Auch 2025 fühlen sich viele pflegende Angehörige zu wenig unterstützt, gibt es große Sorgen um die Leistbarkeit der Pflege. Und es gibt einen enormen Personalbedarf, Pflege-Mitarbeiter*innen stehen unter großem Druck. Die Menschen warten weiter auf den großen Wurf bei der Pflegereform und fühlen sich alleingelassen“, so Kurzbauer zusammenfassend.
Folgende Eckpunkte muss eine Pflegereform enthalten:
- Ausbau und Qualität in der Langzeitpflege: Klare Kriterien für den Ausbau, verbindliche Qualitätsstandards/Personalschlüssel und eine bessere Einbindung der mobilen Dienste in Primärversorgungseinheiten.
- Demenzerkrankungen stärker in den Fokus nehmen: Es braucht spezialisierte Angebote und flächendeckende Betreuung. Dieser Fokus fehlt beispielsweise im aktuellen Regierungsprogramm
- Pflegende Angehörige stärken: Bessere Absicherung, finanzielle Anerkennung und echte Entlastung durch neue innovative Dienstleistungen.
- Pflegeberufe aufwerten: bessere Rahmenbedingungen, mehr Zeit mit der pflegebedürftigen Person, faire Bezahlung und weitere Ausbildungsoffensiven.
- Pflegegeld neu denken: Weg von den Defiziten hin zu Ressourcen. Generell braucht es ein neues Pflege- und Betreuungsverständnis, dass sich stärker darauf ausrichtet, die Selbstständigkeit und soziale Teilhabe der Pflegebedürftigen möglichst lange zu erhalten und zu fördern.
- Digitalfonds für neue und innovative Lösungen: Die Digitalisierung ist eine große Chance für mehr Effizienz und Sicherheit in Pflege und Medizin.
- Ein Land – ein Pflegesystem: die große Zukunftsvision
„Daher appelliere ich im Namen der Betroffenen eindringlich an die Verantwortungsträger*innen in Bund und Land, aus unserem zersplitterten föderalen und leider löchrigen Fleckerlteppich ein Pflegesystem der Zukunft zu gestalten, dass die Menschen in unserem Land wirklich trägt“, schließt Erich Fenninger.
Mehrmals jährlich führt das FORESIGHT-Institut für die Volkshilfe Österreich Befragungen zu sozialpolitischen Themen durch. Bei 1.032 Interviewpartner*innen face-to-face zum Thema Pflege liegt die maximale Schwankungsbreite bei +/- 3,1 Prozent und die Aussagen sind somit repräsentativ.