Gewaltfreie Pflege, ältere Damen lächelt in die Kamera

Gewaltfreie Pflege

Demenz verstehen, Ursachen erkennen, Sicherheit schaffen

Wichtig ist, dass Menschen wissen, dass sie nicht alleine sind und dass es Unterstützung gibt.

Die Volkshilfe Österreich hat die Bro­schüre „Demenz verstehen“ entwi­ckelt, um zu zeigen, wie stark Demenz Verhalten, Bedürfnisse und Beziehun­gen beeinflusst. Im folgenden Auszug geht es darum, warum Betroffene be­sonders anfällig für Angst, Frustration und Aggression sind – etwa durch Ver­gesslichkeit, Orientierungslosigkeit oder Schlafstörungen. Die Broschüre be­nennt Risikofaktoren wie Isolation oder Sinneseinbußen und zeigt, wie Routinen, vertraute Strukturen und biografische Aktivierung helfen können, Konflikte zu entschärfen und Nähe zu bewahren.

Gewalt in der Pflege hat viele Gesich­ter
Gewalt entsteht meist unbewusst aus Überforderung, Erschöpfung oder Un­wissen, manchmal aber auch bewusst. Ungeklärte Konflikte in der Familie wie in der häuslichen Betreuung können es­kalieren. Da das Thema Gleichstellung, Altersdiskriminierung und Menschen­rechte berührt, muss man verstehen, wie übergriffiges Verhalten entsteht, welche Mechanismen dahinterstecken und welche Gegenmaßnahmen wirken.

Was ist Gewalt in der Pflege?
Gewalt in der Pflege beginnt, wo körperlicher oder seelischer Schmerz zugefügt wird und dabei Macht oder Abhängigkeit ausgenutzt werden. Ob grobes Festhal­ten am Arm, entwürdigende Worte oder das bewusste Vorenthalten von Geld – all das verletzt die Würde der Betroffe­nen. Auch wenn manche Übergriffe un­bewusst im Stress passieren, macht das den Schaden nicht weniger real.

Formen und Ausdrucksweisen
Gewalt kann sich auf ganz unter­schiedliche Weise zeigen: Schläge oder Zerren hinterlassen oft sicht­bare Spuren, doch psychische Gewalt ist genauso zerstörerisch. Ein einziger verletzender Satz, der Zweifel an der eigenen Wahrneh­mung sät, kann langfristige Ängste und Misstrauen auslösen. Sexua­lisierte Übergriffe brechen intime Grenzen und führen zu enormer Scham, während finanzielle Aus­beutung das Vertrauen in Familie und Betreuungseinrichtungen zer­stört. Selbst digitale Eingriffe – das Sperren des Internetzugangs oder das Versenden bedrohlicher Nach­richten – zählen dazu, weil sie Ab­hängigkeit und Kontrolle manifes­tieren.

Ursachen und Dynamiken
Über­forderung, Erschöpfung und man­gelnde Schulung sind die Nährbö­den für Gewalt, selbst wenn keine böse Absicht dahintersteckt. Wenn Pflegende im Zeitdruck sind oder Angehörige die emotionale Last allein tragen müssen, steigt die Wahrscheinlichkeit unkontrollier­ter Ausbrüche. In familiären Bezie­hungen können alte Konflikte und ungelöste Verletzungen auftau­chen und die Pflegesituation zu­sätzlich eskalieren. Wer nicht lernt, Stress zu managen und Konflikte offen anzusprechen, begibt sich in eine Gefahrenspirale.

Strukturelle Gewalt
Gewalt ent­steht nicht nur zwischen Men­schen, sondern auch durch starre Abläufe und unfaire Rahmenbedin­gungen. Wenn Pflegekräfte ständig unterbesetzt sind, Zeitvorgaben über Autonomie gestellt werden oder niedrige Löhne als unverän­derlich gelten, wird systematisch Druck aufgebaut. Pflegebedürfti­ge verlieren ihre Entscheidungs­freiheit, und Pflegende fühlen sich gleichermaßen entmündigt. So­lange gesellschaftliche Strukturen notgedrungen Unterordnung er­zwingen, bleibt Gewalt unausge­sprochen und normalisiert.

Prävention und verantwortliches Handeln
Gewalt lässt sich nur verhindern, wenn man die verschiedenen Gesichter erkennt und nicht wegschiebt. Offene Kommunikation, regelmäßige Supervision und gezielte Fortbildungen sind kein Luxus, sondern eine Pflicht. Im Team und in Familien muss man Konflikte sofort ansprechen, statt sie unter dem Deckmantel guter Absichten ruhen zu lassen. Nur wer Konflikte sichtbar macht, kann sie lösen und echte Wertschät­zung herstellen – für Pflegende und Gepflegte gleichermaßen.

Gewalt vorbeugen
Der Kampf gegen Gewalt beginnt mit frühzei­tigen Maßnahmen: Überlastung, Isolation oder ungünstig familiäre Dynamiken müssen erkannt und entkräftet werden, ehe sie eska­lieren. Wenn es doch zu Übergriffen kommt, muss man sofort ein­greifen, Betroffene unterstützen und dafür sorgen, dass Täter*in­nen soziale Interventionen oder strafrechtliche Folgen zu spüren bekommen. In gut vernetzten Nachbarschaften sinkt Gewalt, weil Vertrauen und Zusammenhalt Konflikte schon im Ansatz glätten.

Aktives Erkennen
Gewalt in der Pfle­ge ist oft subtil und verborgen. Man kann sie nur aufspüren, wenn man nüchtern die Fakten prüft, seine Ge­fühle reflektiert, persönliche Normen hinterfragt und zurückliegende Vor­fälle analysiert. Ein Tagebuch kann helfen, Stimmungslagen und Span­nungen regelmäßig zu überprüfen. Mobile Pflegedienste müssen sensi­bilisiert werden, erste Warnsignale zu deuten und klare Handlungsschritte einzuleiten. Auch Ärzt*innen im Vier-Augen-Prinzip beobachten Interaktio­nen – alleine und in Begleitung von Angehörigen – und veranlassen bei Auffälligkeiten Beratungen oder poli­zeiliche Schritte.

Präventive Strategien
Man kann Beratung in Anspruch nehmen, um Stressmanagement, Selbstfürsorge und Kommunikationsmethoden zu erlernen. Auch regelmäßige Pausen, Atemübungen, Spaziergänge oder der Austausch mit anderen Pflegenden in Selbsthilfegruppen helfen dabei, die eigene Resilienz zu stärken. Wichtig ist außerdem, Verständnis für die Ge­fühlslage der gepflegten Person zu bewahren und Pflegehandlungen be­hutsam sowie mit Ich-Botschaften zu besprechen.

Empathie und Fachkompetenz
Ein empathisches Umfeld, das Raum und Verständnis für Pflege bietet und den Gepflegten so­ziale Teilhabe ermöglicht, schafft Sicherheit und beugt Isolation vor. Regelmäßige Schulungen fördern die Selbstreflexion, dees­kalierende Kommunikation und Resilienz. Mehr Personal in der Pflege, angemessene Finanzmittel und Supervisionsangebote bieten den nötigen Freiraum für individuelle Betreuung und kol­legiale Unterstützung – so verhindert man Gewalt in der Pflege dauerhaft.

Einführung in Demenz und Gewalt
Menschen mit Demenz geraten leicht in Situationen, in denen Überforderung bei Pfle­genden zu ungeduldigen oder sogar aggressiven Reaktionen führt. Da man die Krankheit oft nur bruchstückhaft verstehst, entstehen falsche Erwartungen und Missverständnisse, die das Risiko gewaltsamer Übergriffe erhöhen.

Aggressionen als Symptom
Aggressives Verhalten bei Demenz zeigt sich nicht nur in körperlichen Attacken, sondern auch in Wutausbrüchen, verbalen Angriffen oder Rückzug. Orientie­rungslosigkeit, Gedächtnislücken und Störungen im Tag-Nacht-Rhythmus tragen dazu bei, dass Betroffene Ängste entwickeln und mit ungewohnter Aggression reagieren. Ohne ausreichen­des Wissen über den Krankheitsverlauf drohen Pflegende und Angehörige, diese Signale persönlich zu nehmen und unbe­dacht Grenzen zu überschreiten.

Verlauf und besondere Herausforderungen
Im Fortschreiten der Erkrankung verändert sich die Persönlichkeit: Aus liebevol­len Menschen werden Gereizte, unkontrollierte Impulse können zu sexueller Enthemmung führen. Wenn man plötzlich frem­denfeindliche oder anzügliche Äußerungen erlebt, muss man verstehen, dass Demenz bestimmte Hirnregionen angreift. Nur Geduld und eine Haltung des Verstehens helfen einem, nicht selbst in einen gewalttätigen Konflikt zu geraten.

„Für Menschen mit Demenz ist Vertrautheit überlebenswichtig.“

Sichere Rahmen schaffen Für Menschen mit Demenz ist Ver­trautheit überlebenswichtig. Man sollte gewohnte Abläufe und vertraute Orte bewahren, um Orientierung zu erhalten. Es hilft, klar und ruhig zu sprechen und auf Korrekturen zu verzichten, wenn Erinnerungen fehlen. Eine beruhigende Umgebung – etwa mit gedämpftem Licht, Lieblingsmusik oder vertrauten Gegen­ständen – kann angespannte Situationen entschärfen und dabei helfen, wieder Sicherheit zu schaffen.

Biografische Aktivierung
Man kann das nutzen, was im Lang­zeitgedächtnis erhalten ist – Musik aus der Jugend, alte Fotos oder vertraute Geschichten. Durch das gemeinsame Wecken bedeutungsvoller Erinnerungen lassen sich Selbstwert und Identität stärken. So entstehen Momente der Verbundenheit statt Frustration – und das wirkt vorbeugend gegen Gewalt.

Professionelle Unterstützung

Sobald Konflikte zu riskant werden, sollte man sich fachliche Hilfe ho­len. Spezialisierte Beratungen, De­menzschulungen und Supervision für Angehörige bieten Werkzeuge, um aggressive Ausbrüche besser zu verstehen und gezielt zu dees­kalieren. Nur so lässt sich langfris­tig eine respektvolle und gewalt­freie Begleitung sicherstellen.

Beratungstelefon Pro Senec­tute
Unter +43 699 11 20 00 99 erreicht man das kostenlose und vertrauliche Pro Senectute-Tele­fon, das auf Gewalt im Alter spe­zialisiert ist. Egal, ob man selbst Gewalt erlebt hat, unsicher ist, ob etwas als Gewalt gilt, Beobachtun­gen besprechen oder befürchtet, eigene Grenzen zu überschreiten – hier erhält man Rat und wird ge­gebenenfalls weitervermittelt.

Frauenangebote
Die Frauenhelpline (0800 222 555) ist rund um die Uhr kostenfrei, mehrsprachig und unbürokratisch erreichbar. Sie informiert über Gewaltformen, entlastet psychisch und kann bei Bedarf polizeiliche Schutzmaß­nahmen einleiten. Ergänzend steht der Helpchat unter haltdergewalt.at für schriftliche Beratung bereit.

Männerangebote
Der Männer­notruf (0800 246 247) und die Männerinfo (0800 400 777) bie­ten Männern vertrauliche Tele­fon-, Chat- und E-Mail-Beratung hilfe@maennernotruf.at
Geschulte Berater*innen unter­stützen in Krisen, klären die Situ­ation und vermitteln an weiterfüh­rende Einrichtungen.

 

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