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Ukraine Hilfe

Interview mit Franz Josef Berger

Franz Josef Berger hat bereits in der humanitären Hilfe für die Vereinten Nationen und die deutsche Welthungerhilfe gearbeitet. Bei der Volkshilfe ist er unser Projektleiter für die Humanitäre Hilfe in der Ukraine und sorgt dafür, dass die Spendengel der sinnvoll eingesetzt werden.

 

Ein wichtiger Partner von uns in der Ukraine ist unsere Schwesternorganisation NDU?

Die Abkürzung steht für „Narodna Dopomoha Ukraine“, was so viel heißt wie „Volkshilfe Ukraine“. Das ist unsere Schwesternorganisation, die 1993 in Czernowitz gegründet wurde.

Wie ist die Flüchtlingssituation derzeit in Czernowitz?

Czernowitz selbst hat um die 250.000 Einwohner*innen, seit Beginn des Krieges im Februar 2022 sind dort um die 70.000 Flüchtlinge registriert, das sind sehr viel im Vergleich zur Einwohnerzahl. Die Situation ist sehr dynamisch, die Leute kommen und registrieren sich, andere reisen weiter, oder kehren wieder zurück. Für die Behörden sind da Zahlenerhebungen schwierig. Was sehr viele Menschen vor eine echte Herausforderung stellt, sind die explodierenden Mietpreise durch den enormen Zustrom an Flüchtlingen.

Warum fliehen so viele nach Czernowitz?

Czernowitz liegt im Westen, in einer sehr ländlichen Gegend. Da gibt es nicht so viel militärisch relavante Infrastruktur, das Gebiet ist daher eher uninteressant für die Russen. Es gibt zwar oft Fliegeralarm, aber die Habsburger-Stadt wurde von Raketen noch nie getroffen, und wird als ein relativ sicherer Zufluchtsort wahrgenommen. Gekämpft wird eher im Osten, da wo die Industrie angesiedelt ist.

Was ist Deine Rolle in der Kooperation mit NDU?

Eine meiner Hauptaufgaben liegt darin, die Kapazitäten von NDU zu verbessern. Sie war bisher immer eine sehr kleine Organisation, derzeit sind es 23 Mitarbeiter*innen. Sie stehen derzeit unter großer Anspannung, der Bedarf an Unterstützung vor Ort und an Hilfsgütern ist sehr groß. Mein Part liegt in der Koordination der effizienten Verwendungsmöglichkeit der vielen Spendengelder.

Auf welche hilfsbedürftigen Gruppen konzentriert sich die Volkshilfe?

Wir unterstützen vor allem Flüchtlinge, die besondere Bedürfnisse haben. Das sind Alleinerzieher*innen, Kinder mit Behinderungen, Menschen mit chronischen oder schweren Krankheiten oder ältere Personen. NDU registriert die Flüchtlinge und überprüft, ob sie unseren Auswahlkriterien entsprechen, zum Beispiel wird überprüft, ob tatsächlich eine Behinderung vorliegt. Wir helfen vor allem mit Essenspaketen.

Was muss alles enthalten sein?

Wir halten uns da an standardisierte Listen, die von den Vereinten Nationen erstellt wurden. Die Essenspakete decken den Grundbedarf an Eiweiß, Nährwerten, Kohlenhydraten und Fetten. Es gibt aber im Moment mehrere Krisen, die auch den Nahrungsmittelmarkt betreffen: Aufgrund des Krieges und unterbrochener Lieferketten sind derzeit Hafer, Pasta und Sonnenblumenöl Mangelware in ganz Europa.

Wie läuft das logistisch ab mit der Beschaffung der Nahrungsmittel?

Bisher haben wir die Nahrungsmittel über Großhändler hier in Österreich besorgt und sie dann mit LKWs nach Czernowitz gebracht. Aber die Beschaffung der Lebensmittel in Österreich ist kostspielig, viele Produkte haben lange Lieferzeiten und wir müssen aus Effizienzgründen immer darauf achten, dass die Transporter voll sind. Deswegen beziehen wir die Lebensmittel und Hygieneartikel ab jetzt direkt aus der Ukraine. Die Preise sind weitaus günstiger, die Lieferwege viel kürzer und wir kurbeln so die Wirtschaft vor Ort an.

Ich dachte, die Regale in der Ukraine sind leer?

Im Osten und Süden, wo gekämpft wird, da sind sie das, aber im Westen sind die Regale voll, auch die Silos mit Weizen. Das Problem dort ist nicht Lebensmittelknappheit, sondern Armut. Viele Menschen, die aus dem Osten in den Westen geflohen sind, haben alles verloren und all ihre Ersparnisse aufgebraucht.Sie können sich viele Lebensmittel nicht mehr leisten. Wenn die Produkte dann in Czernowitz ankommen... ... werden sie in einem Zwischenlager deponiert und dann direkt an NDU übergeben. Im Stadtzentrum, beim „Welcome-Point“ werden die Lebensmittel dann zu portionierten Paketen verpackt und an die Hilfsbedürftigen ausgehändigt. Das geht dann alles recht schnell und innerhalb von ein paar Tagen ist alles verteilt.

Die Volkshilfe liefert ja nicht nur Lebensmittel und Hygieneartikel?

Wir liefern auch verschiedenste Sachspenden. Vor zwei Wochen haben wir 109 Betten geliefert an das Kinderspital in Czernowitz. Auch an medizinischen Produkten gibt es einen riesigen Bedarf. Viele Arzneimittelfabriken im Zentrum/ Norden der Ukraine wurden zerstört, so auch die in Hostomel, einer Stadt in der Nähe von Kiew. Fehlende Medizinprodukte, das ist derzeit ein riesiges Problem. Hier helfen auch die Vereinten Nationen mit im großen Maßstab. Die Volkshilfe unterstützt punktuell Krankenhäuser, so haben wir zum Beispiel Medikamente für Krebsbehandlung an das onkologische Spital in Czernowitz geliefert.

Und wir kümmern uns um psychologische Betreuung?

Viele Menschen sind traumatisiert von dem, was sie im Krieg miterlebt haben. NDU hat professionelle, zertifizierte Psycholog*innen unter Vertrag genommen. Durch unsere finanziellen Mittel können 500 Flüchtlinge eine psychologische Betreuung in Anspruch nehmen.

Besonderer Schutz gilt ja den Frauen und Mädchen?

Es ist bekannt, dass im Krieg bis jetzt ganz viele Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe passiert sind. Gewalt gegen Frauen, - vor allem auch in Stresssituationen innerhalb von Familien - ist ein großes Problem. NDU bietet spezielle Präventiv-Schulungen für Mädchen und Frauen an, in denen sie lernen, wie man Gewalt vorzeitig erkennen und sich früher davor schützen kann. Und dann ist da noch die Rechtsberatung... Die Menschen haben rechtliche Fragen. „Wie komme ich zu Entschädigungen, wenn mein Haus zerstört worden ist?“ oder: „Was ist, wenn das Gebäude meines Arbeitsgebers, meiner Arbeitgeberin im Osten zerstört wurde? Bekomme ich Arbeitslosengeld?“ Auch hier leistet NDU Unterstützung und stellt kostenlose Rechtsberatung zur Verfügung.

Du warst selber im östlichen Kriegsgebiet und konntest Dir einen Eindruck verschaffen?

Ich war mit meinem Kollegen vor ein paar Wochen in der Gegend von Butscha und Irpin. Das sind diese Städte, etwa 45 Autominuten von Kiew entfernt, wo die Vereinten Nationen Kriegsverbrechen vermuten. Eine Gegend, wo man viel Zerstörung sieht, ausgebrannte Wohnhäuser und Supermärkte. Das waren blühende Städte vor dem Krieg, mit zehntausenden von Menschen. Die Stadt Butscha wurde von 90% der Einwohner*innen verlassen. Doch nicht alles ist dort restlos zerstört. Die Stadtverwaltung hat in etwa 1220 Gebäude evaluiert, davon könnte man in etwa 300 wiederherstellen, sagt sie.

Und die Volkshilfe wird beim Wiederaufbau unterstützen?

Wir wollen die Wiederherstellung fördern und den Menschen helfen, ihre Häuser zu reparieren. Was wir mit unseren Geldern bewerkstelligen können, ist die Konzentration auf kleinere Gebäude-Renovierungen wie Fenster- oder Türaustausch, oder kleinere Maurerarbeiten. Auch hier arbeiten wir mit NDU zusammen und kooperieren vor Ort mit privaten Handwerksbetrieben, um diese Instandsetzungsarbeiten durchzuführen. Unser Ziel ist es, noch vor dem kalten Herbst und Winter zu helfen.

Macht es denn Sinn, jetzt schon wieder Aufbau zu betreiben?

Diese Frage wird mir oft gestellt. Aber wir können nicht warten, bis es ein Friedensabkommen gibt. Die Menschen kehren zum Teil jetzt schon wieder zurück. Unsere Hilfe ist auch symbolisch eine ganz große psychologische Unterstützung: „Ihr in der Ukraine, Ihr seid nicht alleine!“ und „Wir lassen uns vom Krieg nicht unterkriegen!“ Und was mir als Projektleiter vor allem besonders am Herzen liegt: Die Hilfe muss zeitnah und schnell erfolgen, weil die Menschen unsere Hilfe JETZT benötigen. Und dafür steht die Volkshilfe.

Danke für das Gespräch!

 

19. August 2022

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Wiederaufbau in der Ukraine

"Die Hilfe muss zeitnah und schnell erfolgen, weil die Menschen unsere Hilfe JETZT benötigen. Und dafür steht die Volkshilfe."

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